Was ist die Entwicklungsorientierte Lesedidaktik und wie wird mit ihr gearbeitet?

Von Dr. Christel Manske ursprünglich für Kinder an Sonderschulen entwickelt, über viele Jahre erfolgreich mit Kindern (hauptsächlich mit Trisomie 21) in ihrer Praxis erprobt, eignet sich dieses Programm für alle Kinder als verlässliche Lese- und Schreiblernmethode - und auch für das Erlernen der regelrechten Lautsprache.
Das Besondere an dieser Didaktik ist das Erlernen der Buchstaben als sinngebende Laute. Das bedeutet, dass mit jedem Laut eine sinnvolle Handlung verbunden wird. Die Buchstaben werden nicht als Zeichen mechanisch auswendig gelernt, sondern als stabile Systeme, welche als erste und kleinste sinngebende Einheiten anzusehen sind. Durch die Einheit von Handlung, Symbol und Zeichen werden systematisch nahezu löschungsresistente Hirnsysteme aufgebaut.
Folgendes Beispiel - die Aneignung des Buchstabens "M" - soll diese Einheit näher erläutern: Das Kind isst eine Süßigkeit, es führt die Handlung aus. Der Lehrer macht ein Foto davon, zeigt es dem Kind und fragt, was auf dem Foto zu sehen ist.

Das Kind erkennt sich und seine Handlung wieder. Eine vorgefertigte kleine Zeichnung (auf der auch die Handlung dargestellt ist) wird ebenfalls vorgelegt. Das Foto und die Zeichnung sind das Symbol. Erst im Anschluss daran kommt der eigentliche Buchstabe "M" - das Zeichen - hinzu. Die Kinder lernen nicht zu buchstabieren, sondern sie lernen die Buchstaben zu lautieren. Sie lernen die Konsonanten nicht als "EF", "GE", "TE" etc., sondern als Laute. Durch das Erlernen der Buchstaben als sinngebende Laute können die Kinder später selbst Wörter konstruieren. Das Zusammenziehen der Buchstaben zu Silben und Wörtern fällt ihnen sehr viel leichter als wenn sie die Buchstaben als Anlaute lernen würden. Zusätzlich zur verbalen Äußerung und der Verschriftlichung lernt das Kind - wenn es erforderlich ist - ein dem Laut zugeordnetes Handzeichen.

In den einzelnen Stunden werden je nach Bedarf Vorübungen zum Schreiben durchgeführt: Förderung der Feinmotorik, Übungen zur Hand-Augen-Koordination und zur Figur-Hintergrund-Wahrnehmung. Unter anderem kommen Bildkarten, konstruktives Spielzeug und Lernprogramme zum Einsatz. Es wird versucht, an den jeweiligen individuellen Kompetenzen, über die das Kind bereits verfügt, anzuknüpfen und diese weiter zu fördern.

Die Lesedidaktik und die Lautsprache

Mit dieser Didaktik ist es möglich, durch das Erlernen des Lesens und Schreibens die funktionellen Systeme für die Lautsprache während der sensitiven Phase der Sprachentwicklung aufzubauen. Zunächst durch das Aneignen der sinngebenden Laute, später durch das Konstruieren von Haupt- und Tätigkeitswörtern und ganzen Sätzen werden besonders Kinder mit Trisomie 21 beim Erwerb der Lautsprache unterstützt.

Für wen eignet sich die Entwicklungsorientierte Lesedidaktik?

Das Angebot richtet sich grundsätzlich an alle Kinder. Besonders interessant ist die Lesedidaktik allerdings für Kinder im Vor- und Grundschulalter, die im herkömmlichen Schulunterricht Schwierigkeiten beim Erlernen der Laut- und Schriftsprache haben. Seit vielen Jahren lernen (vor allem) Kinder mit Trisomie 21 (Down Syndrom) mit diesem Programm. Das mangelhafte funktionelle Hirnsystem Sprache ist eine der isolierenden Bedingungen für Kinder mit Trisomie 21. Sich nicht verständigen zu können, nicht eine Sprache benutzen zu können, bedeutet Isolation. Isolation wiederum bedeutet Ausschluss: Der Zugang zu weiten Bereichen der Gesellschaft und der Kultur bleibt verwehrt. Aus der mangelnden Kommunikation mit anderen Menschen und der Umwelt entwickelt sich die geistige Behinderung. Deshalb ist die Lesedidaktik besonders für Kinder mit Trisomie 21 eine sinnvolle Unterstützung beim Erwerb der Lautsprache.


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